Zähne putzen nach dem Frühstück
Ja, bitte!
Voraussetzung für einen zuckerfreien Vormittag mit Remineralisation der Kinderzähne ist die Entfernung der Speisereste nach dem häuslichen, oftmals süßen Frühstück.
Sicherlich gibt es Eltern, die sich an der früher und heute noch gelegentlich gegebenen Empfehlung nach dem Frühstück mit dem Zähneputzen eine halbe Stunde zu warten, orientieren. Dies ist aber im Alltag der meisten Kinder nicht einzuhalten. Die Eltern müssen aus dem Haus, die Schule oder KITA gibt feste Uhrzeiten des Erscheinens vor. In der Folge putzen einige Kinder gar nicht mehr die Zähne und viele Kinder tun es vor dem Frühstück. Dann aber kleben die Speisereste noch stundenlang an den Zähnen und die Demineralisation geht weiter. Dies kann zu Karies führen.
(Lediglich für Patienten mit Erosionen oder auch Dentinhypersensibilität sollten hier vorsichtig sein.)
Sehr viel größer ist das Problem der Karies. Zur Kariesprophylaxe raten wir allen Kindern sich nach dem Essen die Zähne zu putzen. Wir wollen damit erreichen, dass die Zähne sauber sind, plaquefrei und geschützt durch Fluorid. Dies gilt auch für das Zähneputzen nach dem Frühstück.
Wir haben uns einmal die Mühe gemacht und die veröffentlichten Artikel zum Thema in Fachzeitschriften angesehen. Es ist eine Freude zu erkennen, dass weiterführende wissenschaftliche Untersuchungen der vergangenen Jahre zu fundierteren Aussagen geführt haben.
Schauen wir in die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) - Leitlinien:
„Die Zähne sollen nach den Mahlzeiten geputzt werden, damit neben einem vorhandenen Biofilm auch Speisereste entfernt werden, die als Substrat für kariogene Keime zur Verfügung stehen können. Allerdings gibt es für diese Empfehlung keine Evidenz aus randomisierten, klinischen Studien. Als allgemeine Empfehlung zur Mundhygiene sollte die individuelle Putztechnik optimiert und eine systematische Vorgehensweise eingeübt werden.“
Was sagt die Wissenschaft:
O'Toole S, Bernabé E, Moazzez R, Bartlett D: Timing of dietary acid intake and erosive tooth wear: A case-control study. J Dent. 2017 Jan
Material und Methode: Im King's College London Dental wurden im Rahmen einer kontrollierten Fallstudie 300 Erwachsene mit erosivem Zahnhartsubstanzverlust und 300 ohne Erosionen miteinander verglichen. Das Ausmaß der Dentalerosion wurde durch den BEWE-Index (Basic Erosive Wear Examination) festgehalten. Zähne mit mehr als 50 Prozent Restauration, traumatisierte und kariöse Zähne wurden nicht bewertet. Anhand eines standardisierten Fragebogens wurden Frequenz, Zeit und Dauer des Konsums von Früchten, Säften, kohlensäurehaltigen und anderen sauren Getränken ermittelt und der Zeitpunkt, wann danach die Zähne geputzt wurden.
Ergebnisse: Die Fruchtaufnahme zwischen den Mahlzeiten, aber nicht bei den Mahlzeiten, war mit erosivem Zahnverschleiß verbunden. Die Testgruppe nahm mit höherer Wahrscheinlichkeit mehr Säure aus Früchten und Getränken pro Tag auf, aß mehr Früchte als Zwischenmahlzeit und trank mehr säurehaltige Getränke, sowohl zwischen den Mahlzeiten als auch dazu. Auch der Zeitraum, über den Probanden aus der Fallgruppe Früchte und säurehaltige Getränke konsumierten, war größer. Der Konsum von Früchten zu den Mahlzeiten unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht. Die Personen aus der Fallgruppe nahmen Getränke häufiger nippend und in kleinen Schlucken zu sich oder behielten sie vor dem Schlucken eine Weile im Mund. Der Einfluss des Zähneputzens binnen zehn Minuten nach Nahrungsaufnahme korrelierte im Rahmen dieser Untersuchung nicht mit erosivem Zahnverschleiß.
30 Minuten Karenz sind unnötig von A. Lussi u.A. aus zm 18 / 2015
„Laboruntersuchungen zur Remineralisation nach Erosion wurden und werden mit künstlichem Speichel durchgeführt, der eine ausgezeichnete Remineralisation zeigt. Diese Versuchsanordnung hat dann zu falschen Folgerungen für die Klinik geführt. Auch nach neueren Untersuchungen ist [in nativem Speichel] selbst nach einer Dauer von mehreren Stunden keine relevante Remineralisation von Zahnschmelz erreichbar [Ganß et al., 2007; Lussi et al., 2014].
Infolgedessen ist ein Zuwarten mit dem Zähneputzen im Normalfall nicht sinnvoll, da es Stunden bis Tage braucht, bis der mit Säure erweichte Schmelz einen gewissen Schutz vor Abrasion (wie durch das Zähneputzen) zeigt [Ganß et al., 2012; Garberoglio und Cozzani, 1979]. Auch die vorliegende Untersuchung an mehr als 3.000 Patienten hat klar gezeigt, dass Zuwarten nach dem Essen nicht sinnvoll ist.
Im Gegenteil, längere Wartezeiten führten eher zu mehr Abrasion (Odds ratio nach 26 bis 44 Min.: 1,41). Es könnte sein, dass gesundheitsbewusste Personen mit der Zahnreinigung warten und dann die Zähne besonders intensiv reinigen. Dieser Sachverhalt wurde auch bei der Untersuchung überempfindlicher Zähne, bei denen Dentin exponiert ist, bestätigt [West et al., 2013]. Sofern durch den Speichel eine effiziente Remineralisation stattfinden würde, müsste verzögertes Zähneputzen die Dentintubuli verschließen und so eine schützende Wirkung zeigen. Warten führte jedoch in dieser Untersuchung nicht zu weniger überempfindlichen Zähnen. Da viele saure Getränke auch noch Zucker enthalten (oft rund zehn Prozent), schadet eine Wartezeit von einer halben oder einer Stunde höchstens, weil in der Zwischenzeit vorhandene Bakterien den im Getränk enthaltenen Zucker zu Säure abbauen und dadurch Karies entstehen kann. Karies ist heute immer noch das Hauptproblem für die Zähne. Hinzu kommt, dass während einer Mahlzeit sowohl Saures als auch Süßes eingenommen wird und ein Warten somit nicht sinnvoll ist.“
Neue Strategien zur Prävention und Therapie von Erosionen von O. Grunau, C. Ganß, N. Schlüter aus Zahnmedizin up2date 1/ 2013 Thieme Verlag
„Neben der Frage nach geeigneten Mundhygieneprodukten wird häufig der Putzzeitpunkt diskutiert. Immer noch hält sich die Aussage, dass nach dem Verzehr von sauren Lebensmitteln mit dem Zähneputzen gewartet werden soll. Experimentell ist bestätigt, dass Zahnhartsubtanzen nach Säureeinwirkung an Mikrohärte verlieren und anschließendes Bürsten auf dem „erweichten“ Zahnhartgewebe größere Substanzverluste erzeugt. Speichel führt zur Präzipitation von Mineralien und damit zur Remineralisation der Zahnhartsubstanzen. Die Annahme, das verlängerte Wartezeiten zu einer ausreichenden „Wiedererhärtung“ der Zähne führt, bedingt diese Aussage.“
Dieser Effekt der Remineralisation konnte auch in Laborversuchen mit künstlichem Speichel bei Schmelz nachgewiesen werden. Weitere Versuche mit nativem Speichel konnten diese Aussage jedoch nicht mehr bestätigen.“
Prof T. Attin u.A. in Dentalhygiene Journal 01/2008
„Das Zähnebürsten ist unabdingbare Voraussetzung für die orale Gesundheit. Obwohl Zahnhartsubstanzabrasionen als mögliche Nebenwirkung des Zähneputzens diskutiert werden, bleibt der abrasive Einfluss des Zähnebürstens im Rahmen der normalen häuslichen Mundhygiene auf gesunder Zahnhartsubstanz klinisch wahrscheinlich ohne Relevanz.“
Erosionen: Befund, Diagnose, Risikofaktoren, Prävention
von Prof. A. Lussi aus zm 03/2007
„In einer Untersuchung, bei der im Labor Schmelzproben während drei Minuten standardisiert mittels 0,1 molarer Zitronensäure (pH = 3,5) erodiert wurden, konnte nach dem Zähneputzen mit einer weichen Zahnbürste und einer normal abrasiven Zahnpaste nach 30 Sekunden in situ 0,26 Mikrometer (μm) Schmelzverlust gemessen werden. Nach einer 60-minütigen Wartezeit zwischen Erosions- und Abrasionsprozess und zwischenzeitlicher intraoraler Exposition (Speichel) betrug der Schmelzverlust 0,20 μm. Für die nicht mit Säure behandelte Kontrollgruppe betrug der Zahnhartsubstanzverlust nur 0,025 μm. Der Schmelzverlust durch Zahnbürstabrasion war beim erosiv veränderten Schmelz um einen Faktor zehn höher als beim gesunden Schmelz [Jaeggi & Lussi, 1999; Lussi et al., 2004c].
Die Erosivität eines Getränkes oder Nahrungsmittels wird aber nicht nur durch die Konsumhäufigkeit und den pH-Wert bestimmt, sondern auch durch die Pufferkapazität, die Chelatoreigenschaften und andere Faktoren wie Kalzium- oder Phosphatgehalt. Getränke und Nahrungsmittel können trotz ähnlicher pH-Werte ein unterschiedliches erosives Potential aufweisen. Je größer die Pufferkapazität eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist, desto länger wird es dauern, bis der pH-Wert durch den Speichel erhöht werden kann. Der Kalzium- und Phosphatgehalt eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist sehr wichtig. Immersion von Schmelzproben in einem kalziumangereicherten, im Handel erhältlichen Orangensaft zeigte keine Erweichung der Schmelzoberfläche.
Ein weiterer sehr wichtiger Faktor ist der Speichel. Einige schützende Eigenschaften des Speichels bei einem Säureangriff sind: Säureverdünnung, Säureabbau, Säureneutralisation, Verminderung der Schmelzauflösung durch das Vorhandensein von Kalzium- und Phosphationen im Speichel, Remineralisation und Pellikelbildung
Der Erosionspatient muss informiert werden, dass er die Zähne nicht unmittelbar nach der Säureexposition reinigt. Man darf dabei nicht vergessen, dass Karies immer noch das Hauptproblem darstellt. Für die Prophylaxe der Karies muss sofort nach dem Essen gereinigt werden.“
Ätiologie, Epidemiologie und Therapie von Erosionen
von N. Schmidt, C. Ganß, J. Klimek aus Oralprophylaxe 25, 2003
„Die Resultate deuten darauf hin, dass ein Verschieben des Putzzeitpunktes zwar einen messbaren, aber nur begrenzten Effekt [in Bezug auf Erosionen] hat. Darüber hinaus ist eine Wartezeit von ein oder zwei Stunden nur schwierig in den Alltag zu integrieren. Daher sollte die Empfehlung nur in Einzelfällen gegeben werden.“